120 Jahre Eintracht Braunschweig-Special: Die Fans Teil2

von Frank Vollmer


Organisierte Auswärtsfahrten und Kutten in den wilden Siebzigern. Foto: privat
Organisierte Auswärtsfahrten und Kutten in den wilden Siebzigern. Foto: privat | Foto: privat



Braunschweig. Anläßlich des 120. Geburtstages des BTSV blickt regionalSport.de zurück auf die Entwicklung der Fanszene rund um den blau-gelben Traditionsverein. In Teil 2 der Serie erfahren wir, was in den wilden Siebzigern geschah und wie Eintracht Braunschweig hauchdünn die zweite Deutsche Meisterschaft verpasste.

Die wilden Siebziger


"Jetzt reden endlich mal alle über die Eintracht. Da kommt einer der Geld bringt und Ideen hat", erinnert sich Volkswagenlöwe Wolfgang Schoeps an den Beginn der Ära Jägermeister. Als Sponsor sorgte Günter Mast im März 1973 für Aufruhr, als er den Hubertushirsch, das Logo seiner Firma Jägermeister, auf dem Trikot der Bundesligamannschaft platzierte und damit den Beginn der Trikotwerbung im bezahlten Fußball einläutete. Allein die Proteste des DFB sorgten für großartige Werbung. Ein geniale Idee, die anfangs bei den Fans noch auf Gegenliebe traf. Eintracht war in einer sportlichen Notsituation, der erste Abstieg aus der Bundesliga drohte und in die chronisch leeren Kassen des Vereins wurde etwas Geld hineingespült. Mast nutzte mit der Zeit jede sich bietende Fläche für die Platzierung des Hirsches. Überall im Stadion an der Hamburger Straße prangte der Hirsch, auch an den Flutlichtmasten. Damit war die Zeit des Hinaufkletterns vorbei. Und auch die der sportlichen Erfolge: Eintracht Braunschweig stieg nach zehn Jahren Bundesligazugehörigkeit erstmals ab.

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Die Südkurve 1975. Foto: privat


Aus Anzügen werden Kutten


Die Kleidung der Anhänger änderte sich in den 1970er Jahren. Aus den Anzügen wurden Jeanswesten und erstmals gab es so etwas wie einen Dresscode unter den Fans. "Jeder trug die Jeansweste", erzählt Karsten König. Der Leiter des heutigen Fanprojekts bei Eintracht Braunschweig war als Junge dabei und fügt an: "Die waren kuttenmäßig an den Ärmeln abgeschnitten. Darunter trug man das Trikot mit dem Hirsch. Im Stadion wurden noch die blau-gelben Wollfäden drangetackert. Das war dann die Uniform." Und in der Brusttasche der Jeansweste hatte man natürlich eine kleine Flasche Jägermeister. Auch lange Haare waren eher die Regel als die Ausnahme. Eine neue Art von Subkultur war entstanden. Nach der gesellschaftlichen und politischen Emanzipation die in Deutschland den Studentenaufständen 1968 folgten, änderte sich auch das Auftreten der Fans. Es wurde von der Gesellschaft und ihren neu erkämpften Werten motiviert. Doch galt der Fußballfan noch als Außenseiter und war im Wohnzimmer nicht akzeptiert. Eine neue radikalere Lebenseinstellung dieser Außenseiter bahnte sich ihren Weg in die Stadien. Auch der Generationenkonflikt wurde erstmals spürbar. "Ich kann mich erinnern, dass ich teilweise richtig Angst hatte", erinnert sich König, der damals als Heranwachsender mitbekam, dass es in der Kurve enger und voller wurde. "Wenn man da mal zur Toilette musste, hat man sich gar nicht mehr getraut, es wieder auf seinen Platz zurück zu versuchen. Da hatte man gleich eine Hängen." In der Kurve herschte das Recht des Älteren. Aber auch die kleinen Leute wussten sich zu helfen. Hinter der Südkurve gab es ein altes Geländer. Darauf stellten sie sich und hielten sich an der Werbebande der Firma Karl Grove fest. "Das hieltest du keine zehn Minuten durch, dann wurde es zu anstrengend", amüsiert sich König, der dann wieder andere Wege fand, um das Spiel zu verfolgen.

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'Fast' wie heute: Abfahrt zum Spiel nach Stuttgart. Foto: privat


Prügelnde Herthafrösche am Hagenmarkt


Gewalt wurde in den Siebziger Jahren erstmals ein Thema im Stadion. Von den wenigen Medien wurde es eher ignoriert, lief weniger radikal als später ab und betraf nur einen kleinen Teil der eher hartgesottenen Fußballfans. In Braunschweig gab es zu dieser Zeit immer wieder Ausbrüche. Etwa 150 Kutten trafen sich vor den Heimspielen am Hagenmarkt. Da konnte es schon einmal passieren, dass man mit gegnerischen Fans aufeinander traf. Noch heute existieren 'Legenden' von den Hertha-Fröschen. Die Berliner Fans fuhren ganz offen mit der Straßenbahn in Richtung Stadion. Vor dem Hagenmarkt zog einer von ihnen die Notbremse. Die ganze Meute rannte raus aus der Tram und es kam zu einer Massenschlägerei mit den dort Wartenden. Eine Viertelstunde lang flogen die Fäuste, wer am Boden lag, wurde von weiteren Schlägen verschont. Dann kam die Polizei und ging mit dem Knüppel durch die Masse. Diese Vorgehensweise nannte der Volksmund 'Die Lage bereinigen.'

Sturm auf die Löwenstatue am Münchner Marienplatz


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Didi Brockmann auf dem Löwen am Münchner Marienplatz. Foto: privat



Im Gegensatz zu heute gab es im Anschluss wenige Festnahmen. Hier liegt vielleicht einer der größten Unterschiede zur damaligen Zeit. "Heute gibt es schon bei  Anzeichen von Gewalt Festnahmen und Stadionverbot. Damals hast du einen Bullen angefasst, dann hat er dir eine geknallt, dass dir Hören und Sehen verging. Die haben dich einfach so verprügelt und hatten da auch Spaß dran. Festnahmen, Papierkram – das will doch kein Bulle", erinnert sich Klaus M. (Name vom Verf. geändert). Der Soziologe würde heute wohl sagen: Das waren testosterongesteuerte, leicht machohafte, junge Männer, die irgendwie ihre Grenzen ausloten wollten. Seit den Siebzigern zieht sich das wie ein roter Faden durch die Kurven der Republik und ist kein braunschweigpezifisches Problem. "Darauf beruht vornehmlich der schlechte Ruf der Fußballfans, die ja eigentlich mit Liebe und Hingabe ihren Sport supporten wollen und heutzutage von den Medien gern alle über einen Kamm geschert werden", sagt Klaus und greift sich unbewusst an die Narbe an seiner Schläfe. Ob hier eine Erinnerung aktiviert wurde möchte er nicht beantworten. Auch Dieter 'Didi' Brockmann war in den Siebzigern schon als Fan aktiv dabei und erlebte, wie Eintracht Braunschweig unter Trainer Branco Zebec 1974 in die Bundesliga zurückkehrte. Wir treffen den Tischler bei seiner Tätigkeit auf der ehemaligen Baustelle im FanHaus am Stadion. Das FanHaus ist als Treffpunkt für die gesamte Fanszene gedacht. Der Versuch, den Support für die Eintracht unter einem Banner zu organisieren scheiterte über die Jahre immer wieder an unterschiedlichen Ansätzen oder ganz einfach am Generationenkonflikt. 1974 war das noch nicht mal ein Thema: "Wir sind sehr viel mit Bussen zu den Auswärtsspielen gefahren. Man musste sich schon selbst um die Karten kümmern. Der Vorverkauf war noch nicht so wie heute", erzählt der junggebliebene 60-Jährige Brockmann. "Du bist da hingefahren und hast dich irgendwo angestellt." 1975 erlangte Brockmann sogar etwas Berühmtheit. Bei einem Auswärtsspiel der Löwen im Münchner Olympiastadion stürmte er mit einer Eintracht-Fahne die Löwenstatue am Marienplatz. Das Foto wurde später in der Braunschweiger Zeitung abgelichtet. "Das war eine Mordsgaudi, aber das Wasser des Brunnens war saukalt", lacht Brockmann. Hinterher hat sich die Braunschweiger Reisegruppe im Hofbrauhaus dann wieder warm getrunken.

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Legendäres Spiel gegen Dynamo Kiew an der Hamburger Straße. Foto: privat


Die knapp verpasste Meisterschaft


Die Ära Zebec war eine der sportlich erfolgreichsten in der Geschichte der Braunschweiger Eintracht. 1977 wurden die Löwen sogar Dritter. Die damals nur knapp verpasste zweite Deutsche Meisterschaft ist heutzutage ein wenig in Vergessenheit geraten. In der kommenden Saison spielten die Löwen zwei legendäre Spiele gegen die Weltmannschaft von Dynamo Kiew. Einem 1:1 im Hinspiel folgte ein 0:0 in Braunschweig, was die Zebec-Elf in die nächste Runde führte. Weltmeister Paul Breitner trug damals das Trikot mit dem Hubertushirsch, wurde in Braunschweig jedoch nicht glücklich. "Das war auch ein bisschen die Schuld der Medien", erzählt sein ehemaliger Mitspieler Dieter Zembski. "Die Journalisten befragten nach den Spielen irgendwann nur noch Paul, die anderen Spieler ließen sie links liegen". Breitner verließ Braunschweig nach einem Jahr und wird heute noch ungern auf seinen Abstecher angesprochen. Die gewachsene Medienwelt veränderte in den Folgejahren auch die Wahrnehmung über die Fußballfans, doch sollte Braunschweig sich bald nicht mehr in ihrem Fokus befinden.

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Lesen Sie morgen, wie die mediale Wahrnehmung den Fußball, aber auch die Fanszene veränderte und Eintracht Braunschweig  dabei komplett außen vor war.

Hier geht es zu Teil 1: Die Fans



Hier geht es zu Teil 3: Die wechselhaften Achtziger

Hier geht es zu Teil 4: Die Anfield Road der Regionalliga

Hier geht es zu Teil 5: Die Jahrtausendwende


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