120 Jahre Eintracht Braunschweig-Special: Die Fans Teil4

von Frank Vollmer


Die Neunziger: Geburtstunde des aktiven Supports, hier in Celle. Foto: privat
Die Neunziger: Geburtstunde des aktiven Supports, hier in Celle. Foto: privat | Foto: privat



Braunschweig. Anläßlich des 120. Geburtstages des BTSV blickt regionalSport.de zurück auf die Entwicklung der Fanszene rund um den blau-gelben Traditionsverein. In Teil 4 erfahren wir, wie die ersten zaghaften Versuche einer Ultrabewegung in Braunschweig Fuß fassten und warum die Hamburger Straße die "Anfield Road der Regionalliga" war.

Der Tiefpunkt in den Neunzigern


"Unser Problem war, dass wir genau vor dem Ende der Neunziger bis Richtung 2010 unsere absolut chaotischsten und schwierigsten sportlichen Zeiten durchgemacht haben. Immer wieder gab es noch mal einen weiteren Tiefschlag", erzählt Nils Burgdorf. Der Fanbeauftragte bei Eintracht Braunschweig erlebte die sportliche Talfahrt der Löwen, nachdem er 1994 erstmals ins Stadion gegangen war und sich sofort fasziniert zeigte: "In der Region gab es ja nichts. Wolfsburg spielte in der 2. Liga vor gerade mal 2.000 Zuschauern." In Braunschweig dagegen brannte bei den Heimspielen noch immer die Luft. Nachdem die Blau-Gelben 1993 endgültig zum Drittligisten wurden, verpasste man über Jahre hinweg immer wieder die Rückkehr in den bezahlten Fußball. Erst 2002 sollte unter Peter Vollmann der Aufstieg in die 2. Liga gelingen. Ein kurzes Erlebnis. In der Zwischenzeit bildete sich ein besonders harter Kern an Allesfahreren, der in den Stadien der Regionalliga die Faszination, Eintracht-Fan zu sein, am Leben hielt.

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Support in den 90ern. Mit Ballonmütze: Thilo Götz. Foto: privat.




VfL Herzlake? TuS Hoisdorf? SV Lurup?


Zwei von diesen Allesfahrern sind Ingo Hagedorn und Thilo Götz: "Als jüngerer mit 14 Jahren ist man damals sehr aufgefallen. Die Leute, die auswärts gefahren sind, waren nur ein kleine Haufen, im Zug waren wir nur 20 Leute. Da war kein Hype mehr um Eintracht Braunschweig." Die wenigen Auswärts-Fans fuhren zu VfL Herzlake, TuS Hoisdorf oder SV Lurup.  Und mal ehrlich, wer kann auf der Landkarte sofort mit dem Finger zeigen, wo diese Orte liegen? Auch in diesen sportlich schwierigen Zeiten gab es unter den Fans immer wieder die Bestrebungen, die Fanaktivitäten gemeinsam zu koordinieren. Eine dieser Versuche waren die Supporters Brunswiek, ein Zusammenschluss von Fanclubs, der 1995 gegründet wurde, schnell aber an unterschiedlichen Auffassungen gescheitert ist. Ingo Hagedorn sieht heute den Generationenkonflikt als größtes Problem des damaligen Versuchs: "17 und 40-Jährige haben unterschiedliche Auffassungen davon, wie man die Mannschaft unterstützt."

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Löwenbrigade '97 beim Auswärtssupport. Foto: privat


Löwenbrigade '97 – Ultras in Braunschweig


1995 gab es ein Jubiläumsturnier zum einhundertjährigen Bestehen der Braunschweiger Eintracht. Es war eine Art Sternstunde im Braunschweiger Fansupport. Zum ersten Mal kletterte Thilo Götz auf den Zaun und heizte die Masse im Block an. "Irgendwas musst du jetzt auch machen", erinnert sich Ingo Hagedorn. Kurzerhand schnappte er sich eine Trommel und gab den Takt vor. Die überschaubare Menge in Block 9 akzeptierte das. Kurz darauf stieg auch Hagedorn das erste mal auf den Pfeiler und unterstützte Götz. Es war die Zeit, in der die Ultrabewegung aus Italien nach Deutschland schwappte. Braunschweig war hier schon sehr spät dran. "Die Ultrazeiten begannen 1997 mit der Gründung Löwenbrigade '97." Die kleine Gruppe versuchte den Support zu organisieren. Erste Choreos oder Pyrotechnik bezahlten sie vom eigenen Taschengeld. Thilo Götz war zuvor schon sehr viel in Italien unterwegs gewesen und hatte von den Tifosi viele Ideen mitgebracht. Diese probierte die Löwenbrigade '97 aus. "Wir haben uns schon als Ultragruppe verstanden, aber im Nachhinein gesehen konnte man uns gar nicht für voll nehmen. Die Leute in Italien sind Mitte dreißig. Wenn wir einen von denen gesehen hätten, hätten wir uns in die Hosen gemacht", lacht Hagedorn, den man vor den Heimspielen stets am Fanstand hinter Block 10 antrifft. Die Ultrabewegung in Braunschweig steckte Mitte der Neunziger noch in den Kinderschuhen.

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Hagedorn an seinem Stand hinter Block 10. Foto: Frank Vollmer


Die Anfield Road der Regionalliga


Das Jahr 1997 sorgte auch in anderer Hinsicht für Veränderung in der Braunschweiger Fanszene. Heute würden es wohl die Wenigsten offen zugeben, aber viele Besucher wechselten mit dem Aufstieg des VfL Wolfsburg in die Bundesliga an den Mittellandkanal. Sie waren der sportlichen Dramen leid und wollten die großen Teams sehen. Denn während Eintracht Braunschweig bei den Sportfreunden Ricklingen antrat, empfing der VfL Wolfsburg zuhause den großen FC Bayern München. Für die gegnerischen Fans war die Eintracht auf der anderen Seite immer ein Gast "bei dem sich die heimischen Fans mehr angestrengt haben" (Hagedorn). Eintracht Braunschweig war ein Schwergewicht der Liga. "Bei einem Spiel mit 5.600 Zuschauern wurde im NDR gesagt: Die Anfield Road der Regionalliga", wundert sich Hagedorn noch heute über den Vergleich, der ja doch irgendwie passte.

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Eröffnung der Gegengeraden 1997. Foto: privat


Das sind Jungs, die sind gefährlich


Ein anderes Phänomen darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden. Noch vor den Neunzigern begann der Fokus, sich erstmals wirklich auf die Problemstellungen in Fanszenen zu richten. Beim Endspiel des Europapokals zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin am 29. Mai 1985 kam es im Brüsseler Heysel-Stadion zu einer provozierten Massenpanik bei der 39 Menschen ums Leben kamen und weit mehr als 400 verletzt wurden. Auslöser dieser Panik waren gewaltbereite junge Männer, die als Hooligans mittlerweile mehr als  gefürchtet waren. Sie bildeten von England ausgehend die neue Speerspitze  der Gewalt. Nach der Katastrophe in Brüssel enstand eine vermehrt sensible Wahrnehmung des Fußballs und der Begleiterscheinung des Hooliganismus. Schnell wurde klar: Das sind Jungs, die sind gefährlich. Die Gewaltbereitschaft unter den Fans erreichte einen neuen Höhepunkt. Nach den Vorkommnissen in Brüssel verlagerten die Hooligans ihre Auseinandersetzungen teilweise auf die Innenstädte. Mit dramatischen Konsequenzen für den Ruf Braunschweigs: Während der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich wurde der französische Polizist Daniel Nivel während der Ausübung seines Dienstes von deutschen Hooligans lebensgefährlich verletzt. Die Täter konnten gefasst werden. Einer der im späteren Gerichtsprozess Hauptangeklagten kam aus Braunschweig. Nicht zum ersten Mal gerieten die Fans der Eintracht in einen Dunstkreis, den sie nicht einmal selbst verschuldet hatten.

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Erste Choreos mit Ballons. Foto: privat



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Lesen Sie morgen den 5. und letzten Teil unserer Serie.

Hier geht es zu Teil 1: Die Fans

Hier geht es zu Teil 2: Die wilden Siebziger

Hier geht es zu Teil 3: Die wechselhaften Achtziger



Hier geht es zu Teil 5: Die Jahrtausendwende


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