Der schwierige Spagat zwischen Tradition und Zukunft


Viele aktive Fans fühlen sich von Eintracht Braunschweig im Stich gelassen. Foto: privat
Viele aktive Fans fühlen sich von Eintracht Braunschweig im Stich gelassen. Foto: privat



Braunschweig. Die Stimmung im Eintracht-Stadion ist in dieser Saison schlecht. Der Grund dafür ist der Verzicht des Fanblocks auf einen aktiven Support. Eine Fanszene rebelliert gegen einseitige Gespräche und das Gefühl, ausgetauscht zu werden.Von Till Oliver Becker.

Athmosphärische Störungen


Die WhatsApp-Nachricht kurz vor dem Ende der ersten Spielhälfte offenbarte das ganze Dilemma. „Man hört ja nur die Sandhausener“, schrieb der Kollege, ansonsten eher ein Bayern-Fan, der die Partie im PayTV mitverfolgte. Tatsächlich erlebte Braunschweig an diesem Tag Merkwürdiges. Sportlich - da bestimmte der BTSV das Spiel gegen den Gast aus dem Süden doch recht deutlich. Trotzdem musste man sich am Ende aber, wie schon häufiger in dieser Saison, mit einem Punkt zufrieden geben, weil man das fällige 2:0 verpasst hatte und dann ein dummes Gegentor kassierte. Ähnlich waren bereits die Partien in Düsseldorf und Kaiserslautern und das Heimspiel gegen Aue verlaufen. Auch hier war die Eintracht phasenweise klar besser, vergaß die Vorentscheidung und stand dann, nach unerklärlichen Leistungseinbrüchen, mit nur einem anstatt drei Zählern da. Und: Lange Zeit war es im Sandhausen-Spiel beinahe totenstill im Eintracht-Stadion. Erst das Traumtor von Mirko Boland brachte Stimmung auf die Ränge. Allerdings nicht für lange, denn schon vor dem für die Gäste glücklichen Ausgleich waren die Anfeuerungsrufe fast vollständig wieder eingeschlafen.

Der Grund dafür: Die organisierte Braunschweiger Fanszene, auf die man sich im Rund anscheinend verlässt, verzichtet zurzeit auf einen aktiven Support. Es sei kein Stimmungsboykott, heißt es. Unterm Strich aber läuft es darauf doch hinaus. Warum aber schweigt eine der aktivsten Fanszenen der Republik so eisern? „Die sind sauer wegen der Stadionverbote“, wurde auf der Gegengerade vermutet. Hört man aber in die Szene hinein, dann erfährt man etwas anderes. Nein, wird betont, diese Stadionverbote täten zwar weh, seien aber nicht der Grund, nicht einmal der Anlass. Man wisse, dass man in den vergangenen Jahren, besonders in der letzten Saison, Fehler gemacht habe. Es gehe um etwas Grundsätzliches. Um den Umgang Eintrachts mit seiner aktiven Fanszene. Das könne und wolle man nicht mehr akzeptieren.

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Bilder, die in der aktuellen Saison fehlen: Stimmungssupport im "Neuner". Foto:


1+1= Monolog?


Man muss kein Insider sein, um zu erahnen, was die Szene hier auf die Palme bringt. Es gab einmal das breit beworbene Konzept eines Dialogs zwischen Vereinsführung und Fans. Das Ziel war es, miteinander zu reden und miteinander für die Eintracht zu arbeiten. In letzter Zeit sei aus diesem Dialog aber ein Monolog geworden: „Der Voigt macht Ansagen, und wir haben zu spuren“, heißt es aus Kreisen des „harten Kerns“. Man fühle sich nicht als Gesprächspartner, sondern nur noch als Befehlsempfänger. Auch habe der BTSV überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, dass sich die Fanszene seit einiger Zeit bereits selbst bereinige. Tatsächlich hat Cattiva den 9er grundsätzlich gut im Griff – so waren die Böllerwerfer im Relegationsspiel auch nachweislich keine Mitglieder der aktiven Szene, und das Verhalten Einzelner kann man den Gruppierungen sowieso nicht vorwerfen.

Will Eintracht etwa seine besonders aktiven Fans aus dem Stadion vertreiben? Ganz im Sinne des „modernen Fußballs“ also lieber „pflegeleichte Kunden“ im Stadion begrüßen als überzeugte, aber eben auch kritische Supporter? Es gibt eine Reihe von Indizien, die dafür sprechen. So wird es Cattiva seit einiger Zeit schwer gemacht, Choreografien vorzubereiten – die Gruppierung darf nicht mehr vorzeitig in den Block, sondern muss auf das spätere allgemeine Öffnen der Stadiontore warten. Auch der kleine Verkaufsstand, dessen Erlöse die Choreos finanzierten, ist vom Stadiongelände dauerhaft verschwunden. Dass es von Seiten Eintrachts kaum Bemühungen gibt, aus einem Stadionverbot einen positiven Lerneffekt zu generieren, diese Fans also auf Sicht geläutert wieder aufzunehmen, wird ebenfalls kritisiert.

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"Ohne Stimme keine Stimmung" - Schon 2012 wurden Gräben geöffnet. Foto: privat


Initialzündung 12:12


Das Tischtuch zwischen Szene und Vereinsführung ist aber bereits seit Ende 2012 beschädigt. Eintrachts Fanversammlung hatte sich damals mit einem klaren „Nein“ gegen den Sicherheits-Maßnahmenkatalog der DFL positioniert, die Kurve beteiligte sich an den 12 Minuten und 12 Sekunden langen bundesweiten Schweigeprotesten. Trotz dieser Ausgangslage stimmte die Eintracht (vertreten durch Geschäftsführer Sören Oliver Voigt) für das umstrittene Papier. Dass sich Voigt hier gegen die Fans stellte und sich nicht wenigstens der Stimme enthielt, wird dem Dortmunder seitdem übel genommen. Union Berlin und der FC St.Pauli hatten das DFL-Sicherheitskonzept – auch weil es unter massivem Zeitdruck entwickelt und zur Abstimmung gestellt worden war – abgelehnt. Die befürchteten negativen Folgen, oft genutztes Argument für eine Zustimmung, hat es für die beiden Klubs übrigens nicht gegeben.

In wenigen Tagen wird es einen weiteren Versuch geben, das ramponierte Vertrauensverhältnis zwischen Eintracht und seiner Fanszene bei einer Aussprache zu reparieren. In den Reihen von Cattiva ist man sicher gespannt, was die Vereinsführung im Gepäck hat, um dringend benötigte Brücken zu bauen. Das Minimum wäre eine ehrliche, ergebnisoffene Gesprächsbereitschaft. Der schwierige Spagat zwischen Tradition und Zukunft (immerhin der Titel der Trainerlizenz- Abschlussarbeit von Trainer Torsten Lieberknecht) ist eine Aufgabe, die nur gemeinsam bewältigt werden kann. Eintracht Braunschweig hat sich immer definiert über das besondere Verhältnis von Verein und Fans. Als es überhaupt nicht lief, hat die Treue dieser Fans dem Verein das Überleben gesichert. Das sollte man in besseren Zeiten nicht vergessen, zumal es keine Garantie gibt, dass diese besseren Zeiten für immer anhalten.

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Dies ist einKommentar von Till Oliver Becker. Die Meinung des Autors entspricht nicht zwingend der Meinung unserer Redaktion.


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