Eintracht: 2:0 gegen Landesligist? Kein Anlass für Arroganz!


14. Februar 2009: Mirko Boland (rechts) und Emdens Andreas Mayer gingen nach der letzten Begegnung beider Clubs ganz unterschiedliche Wege. Foto: imago/Hübner
14. Februar 2009: Mirko Boland (rechts) und Emdens Andreas Mayer gingen nach der letzten Begegnung beider Clubs ganz unterschiedliche Wege. Foto: imago/Hübner | Foto: imago/Hübner



Braunschweig. Eintracht ist Tabellendritter in der Zweiten Fußballbundesliga und spricht ein ernsthaftes Wort mit bei der Aufstiegsfrage. Das Testspiel beim Sechstligisten VfL Oythe weckte Erinnerungen. Denn in der Liga der Vechtaraner spielt ein tief gestürzter, alter Bekannter. Zeit, als Eintracht-Fan einfach mal dankbar zu sein, sagt Till Oliver Becker.

Alte Weggefährten - unterschiedliche Routen


Dieses Schaulaufen der Braunschweiger Eintracht beim Tabellenzehnten der Landesliga Weser-Ems, VfL Oythe, gehörte wohl in die Kategorie „Mund abwischen, weitermachen“. Beim 2:0-Erfolg gab sich die Eintracht keine Blöße und glänzte wenig, das ist okay bei einem solchen Vergleich unter der Woche und in der heißen Phase der Saison. Wäre da nicht diese kleine Randnotiz, dass der VfL Oythe nur wenige (verregnete) Tage vorher sein Punktspiel in der Landesliga wegen Unbespielbarkeit des Platzes abgesagt hatte. Der Gegner wäre Kickers Emden gewesen.

Wer? Es ist noch gar nicht so lange her, da waren die Ostfriesen ein harter Konkurrent der Eintracht. Ob im NFV-Pokal oder in der Dritten Liga, die Kickers haben dem BTSV immer alles abverlangt (und lediglich Die-Hard-Fans der Eintracht werden sich vielleicht an den 11.11.1998 erinnern, als Manager Dirk Holdorf kurzfristig Michael Lorkowski beerben musste und sein Trainerdebüt bei einem 7:1-Heimsieg gegen Kickers gab – ihm folgte nach zwei weiteren Spielen und insgesamt sieben Punkten Wolfgang Sandhowe, dem wiederum Uwe Hain, alles in einer Spielzeit).

Kickers‘ Niedergang begann in etwa zeitgleich mit der neuen Zeitrechnung bei Eintracht. Als Torsten Lieberknecht im Schlussspurt der Saison 07/08 in Braunschweig die Nachfolge des Irrtums Benno Möhlmann übernahm und die nicht mehr für möglich gehaltene Rettung vor dem Absturz in die Viertklassigkeit einleitete (als Zweitliga-Absteiger!), lagen die Emder zwar in ruhigeren Gewässern deutlich über dem Strich. Hinter den Kulissen aber zeichnete sich der Absturz des Underdogs aus dem äußersten Nordwesten bereits ab. Die Kickers, ohnehin eine One-Man-Show des damaligen Präsidenten Engelbert Schmidt, litten unter einer gefährlichen Mischung: das dünn besiedelte Ostfriesland bot wenig Hinterland fürs Zuschauerpotential, zahlungskräftige Sponsoren waren in der strukturschwachen Region Mangelware (und Volkswagen, das in Emden den Passat baut, tat nicht mehr, als man wohl erwarten durfte) - trotzdem leistete man sich eine Drittligamannschaft.

Als der DFB dann auf den Ausbau des Stadions bestand, obwohl der Klub bereits die 7.200 Plätze des Ostfrieslandstadions in der Regel nicht restlos verkaufen konnte (der Schnitt lag deutlich niedriger), begann eine Kettenreaktion an Ereignissen, an deren Ende die Kickers durchgereicht wurden bis in die sechste Liga, die Landesliga. Und aus dieser Liga kommt der ostfriesische Traditionsverein bislang nicht heraus. Denn, wenn man etwas gelernt hatte aus dem rasanten Abstieg der Deichkicker, dann dass man kein Geld ausgeben kann, das man nicht hat. Man ist bescheiden geworden bei Kickers, setzt auf den eigenen Nachwuchs und kleine Fortschritte. Und Eintracht? Nahm den Fahrstuhl in die andere Richtung.

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Direkt aus der A-Jugend. Wie lange 2009 doch her ist. Foto: Frank Vollmer


2008 hielt das niemand für möglich


Unter Trainer Lieberknecht, Manager Marc Arnold und Präsident Sebastian Ebel kehrte bei den Löwen eine seit Ewigkeiten nicht gekannte Kontinuität ein. Auch an der Oker hatte man gelernt, dass man Erfolg nicht erzwingen kann, wenn man keine unerschöpflich gefüllte Kriegskasse besitzt. Stattdessen setzte man auf eine nachhaltige Entwicklung der Strukturen. Seit sechs Saisons zählt der BTSV wieder zum festen Inventar des Profifußballs in Deutschland. Eine unglaublich schöne, weil authentische Erfolgsgeschichte, die im Jahr 2008 wohl niemand für möglich gehalten hätte.

Das alles (oder zumindest der letzte Absatz) ist Eintracht-Fans natürlich nicht neu. Trotzdem sollte man es sich immer dann in Erinnerung rufen, wenn man ungeduldig wird. Denn Schicksale wie das Kickers Emdens hätten Eintrachts sein können. Für Arroganz diesen ehemaligen Weggefährten gegenüber gibt es keinen Grund. Eintracht hatte ein unglaubliches Glück - die Berufung des A-Jugend-Trainers Lieberknecht zum Chef der Drittligamannschaft war ein absoluter Glücksgriff, den man so nicht planen konnte. Wer noch die Auswärtsfahrten nach Herzlake miterlebt hat, wer in Ricklingen an der Seite stand und den legendären Stadionsprecher vom FC Bremerhaven (den Klub gibt es nicht mal mehr) noch in den Ohren hat, der schaut mit mehr als einem weinenden Auge nach Emden. Oder nach Lübeck, Uerdingen, Aachen. Die Alemannia, gestrandet in der Regionalliga, steht übrigens gerade vor der zweiten Insolvenz innerhalb weniger Jahre. Just sayin‘.

Hopping-Tipp: Am 2. April findet in der Landesliga Weser-Ems ein echtes Spitzenspiel statt. Mit dabei als Gast: Kickers Emden. Der Gastgeber ist auch ein alter Bekannter, der SV Atlas Delmenhorst. Anpfiff im Stadion an der Düsternortstraße ist um 15 Uhr.

Till

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Dies ist eine Kolumne von Till Oliver Becker. Die Meinung des Autors entspricht nicht zwingend der Meinung unserer Redaktion.

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