Große Spiele von früher: Ingolstadt gegen Eintracht

von Frank Vollmer


Eintrachts Jahrhunderttor: Als Damir Vrancic Legende wurde. Foto: Agentur Hübner
Eintrachts Jahrhunderttor: Als Damir Vrancic Legende wurde. Foto: Agentur Hübner | Foto: Agentur Hübner



Braunschweig/Ingolstadt. Ein Fußballspiel ist manchmal in Minuten erzählt. Doch gibt es auch diese kleinen Momente, die man rückblickend auf Stunden ausweiten könnte. Oder auf die Ewigkeit! Wie diesen wahnsinnigen Freistoß in der Nachspielzeit in Ingolstadt, der Damir Vrancic am 26. April 2013 unsterblich machte.

Vielen Dank Fußballgott!


Mit konzentriertem Blick schreitet Damir Vrancic auf André Mijatovic zu. Sein Ziel ist das Spielgerät. Diese ganzen 90 Minuten waren einfach nur der Horror. Nichts ging bei den Gästen. Die Hoffnung, dass jetzt in der Nachspielzeit noch etwas passieren würde ist gering. Während der gefoulte Pierre Merkel mit schmerzverzerrtem Gesicht von dannen schreitet, legt sich Vrancic seelenruhig den Ball zurecht. Alle Diskussionen von Caiuby und Co. perlen am zuvor unsicher wirkenden Schiedsrichter Martin Petersen ab.

Der Ball ruht auf dem golfplatzhaften Rasen. Vrancic und Deniz Dogan stehen dort, die Köpfe dicht beieinander und beraten sich. Kevin Kratz steht daneben, wirkt abwesend, blickt sehnsüchtig und mit starrem Blick auf das Tor, bevor auch er sich in die Mauer begibt. Versucht er, Keeper Özcan zu hypnotisieren? Noch einmal berührt Vrancic den Ball sanft mit beiden Händen, dreht ihn um ein paar Zentimeter.
 Vorsichtig geht er einen Schritt zurück und prüft mit abschätzendem Blick die Entfernung. Die Sekunden verrinnen wie Stunden. Ich spüre
 meinen Herzschlag rasen. Ansonsten ist es still unter den etwa 9.400.
 Gerangel in der Mauer. Schiri Petersen schiebt das solide Konstrukt aus blau-gelben-schwarz-roten Gladiatoren einen Meter zurück. Wieder vergehen gefühlte Stunden.

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Noch einmal prüft der Blick: Damir Vrancic steht bereit. Foto: Frank Vollmer



Ein Pfiff! Dogan und Vrancic laufen beide an. Dogan zieht zurück, Vrancic wird schießen. Er trifft den Ball. Der Flügelschlag eines Kolibris wäre jetzt greifbar. Der Ball fliegt, segelt erst über die Köpfe in der Mauer, dann weiter Richtung Tor. 18.800 Augen blicken gespannt hinterher. Er senkt sich, fällt tot herunter wie ein Stein. Özcan sieht ihn, springt ab, doch er kommt zu spät. Genau im oberen linken Eck schlägt es ein. BOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOM!

Und in einem Ausbruch von grenzenloser Freude explodiert die Situation. Der Ball ist im Netz, er ist wirklich drin. Der Jubel ist gigantisch. Eine Spielertraube fällt direkt vor mir übereinander her. Mittendrin verschwunden ist Held Vrancic. Die Situation ist unbeschreiblich. Wie paralysiert stehe ich da und beobachte den Wahnsinn. Der Gästeblock rastet völlig aus. Die unförmige blau-gelbe Masse ist in Bewegung, Panik macht sich breit bei den Uniformierten davor.

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Architekt des Erfolgs: Torsten Lieberknecht auf Händen getragen. Foto: Agentur Hübner



Noch einmal bittet Petersen die Spieler an den Mittelkreis. "Mensch pfeiff ab!", denke vermutlich nicht nur ich. Ein paar Ballkontakte lässt er noch spielen. Ich hab die Situation noch immer nicht kapiert. Sekunden werden zu Stunden, Minuten zu Jahren. Noch einmal mobilisiert Eintracht die letzten Kraftreserven. Torsten Lieberknecht an der Seitenlinie schreit den Abpfiff herbei. Petersen blickt noch einmal zur Uhr. Pfeifft ab.

Was jetzt passiert ist reine Legendenbildung. Minutenlang stehe ich fassungslos mit meiner Kamera in der Hand neben der Bande. Um mich herum eskaliert es. Überall Freude pur. Die Menschen fallen sich in die Arme, Spieler und Funktionäre stürmen auf das Feld. Die folgenden zwei Stunden werden das Krasseste, was ich je erleben durfte. Es dauert einen Moment bis ich mich aus der Bewegungslosigkeit lösen kann. Innerhalb von zehn Minuten verballere ich 2.000 Fotos. Überall liegen sie sich in den Armen, tanzen, lachen, weinen. Der Trainer steht mit dem Megafon in der Hand vordem Block und hat die Masse im Griff. Boland balanciert mit Sonnenbrille auf dem Zaun. Noch in Jahren werden wir davon reden. Ich war dabei, als 
Vrancic Eintracht Braunschweig nach 28 Jahren in die Bundesliga schoss. Was für 'ne unglaubliche Ansage. Vielen Dank Fußballgott!

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Die blau-gelbe Wand explodierte. Foto: Frank Vollmer



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Diese Beitrag erschien im abseits° Sondermagazin zur Aufstiegssaison 2013/2014.Die Meinung des Autoren entspricht nicht zwingend der Meinung unserer Redaktion.


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