Karate – Murmeln 19: Der DFB und Junuzovic: Moral vor Recht


Karate bis Murmeln. Wir haben alles dabei. Foto: privat
Karate bis Murmeln. Wir haben alles dabei. Foto: privat | Foto: privat



Ob der Werder-Profi Zlatko Junuzovic wusste, was er am Sonnabend lostrat? Als er nach der Bundesligapartie gegen Hannover 96 (4:1) freimütig erzählte, seine gelbe Karte sei abgesprochen gewesen, damit er gegen den FC Bayern und nicht gegen einen Konkurrenten im Abstiegskampf gesperrt ist?

Sicherlich nicht. Trotzdem soll der Österreicher am Freitag vor dem Sportgericht des DFB zur mündlichen Verhandlung erscheinen. Und sein Mannschaftskamerad Clemens Fritz gleich mit. Der Vorwurf? Unsportliches Verhalten. Und weil dem Fall eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird, müssen die beiden Spieler eben persönlich erscheinen.

Wenn man die bisherige Berichterstattung zugrunde legt, dann findet der Gerichtstermin nur pro forma statt. Denn die Rechtslage sei ja eindeutig. Schließlich hatte Frank Ordenewitz, damals Spieler beim 1.FC Köln, 1991 für einen Präzedenzfall gesorgt. Der Stürmer holte sich damals auf Zuruf seines Trainers Erich Rutemöller ("Mach et, Otze!") im Pokalhalbfinale gegen den MSV Duisburg eine geplante gelbe Karte ab. Es war die zweite im Spiel, Ordenewitz sah also rot, weil es noch keine Ampelkarte gab (wurde erst in der Folgesaison eingeführt). Mit einer gelben Karte wäre er im Pokalwettbewerb gesperrt gewesen - ausgerechnet im Finale. Den Platzverweis aber hätte Ordenewitz in der Liga absitzen können. Der DFB erkannte auf Unsportliches Verhalten und sperrte Ordenewitz auch für das Pokalfinale (4:5 gegen Werder Bremen, nach Elfmeterschießen). Rutemöller musste eine Geldstrafe zahlen.

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Philosoph Clemens Fritz. Foto: Vollmer/Archiv



Dass die Fälle Ordenewitz und Junuzovic/Fritz überhaupt miteinander verglichen werden können und dass auch im Jahr 2016 eine Verurteilung möglich ist,  zeigt, dass der Fußball sportrechtlich seit 25 Jahren stagniert. Was vor einem Vierteljahrhundert verurteilt wurde, steht auch heute vor dem Kadi. Dabei war die Verurteilung damals genauso falsch wie sie es heute wäre.

Denn das, was Ordenewitz gemacht hatte und das, was die beiden Bremer Profis machten (denn ich gehe davon aus, dass ihre gelben Karten bewusst provoziert waren), ist nichts anderes als Taktik. So wie die Entscheidung eines Trainers, seinen besten Spieler gegen Verein X zu schonen, damit er auf jeden Fall im wichtigeren Spiel gegen Verein Y auflaufen kann. Niemand käme auf die Idee, dem Trainer in einem solchen Fall unsportliches Verhalten vorzuwerfen. Wie auch? Die Spielordnung gibt hier keine Anweisungen, auch die FIFA-Regeln schweigen. Ebenso kommt der Fall "absichtlich abgeholte gelbe Karte, die zu einer Sperre führt" nirgends vor. Aus gutem Grund, denn der Nachweis wäre nicht zweifelsfrei zu erbringen. Es wären Sanktionen, die auf Mutmaßungen und Bewertungen fußten. Nein, eine solche Regel wäre nicht gut für den Fußball.

Auf der Basis der Regeln ist eine Bestrafung von Junuzovic und Fritz streng genommen also gar nicht möglich. Um den Spielern doch irgendwie beizukommen, muss schon eine äußerst flexible Interpretation der Regel 12 ("Verbotenes Spiel und unsportliches Betragen") herangezogen werden. Zwar ist auch hier nichts dazu zu finden, dass das absichtliche Kassieren einer Verwarnung mit der Folge einer automatischen Sperre als unsportlich zu bewerten sei. Aber die Regel 12 gilt nicht ohne Grund als "Gummiparagraf", als Regelung also, die bei Bedarf interpretiert werden kann, bis das Ergebnis mit dem erwünschten Ziel übereinstimmt. Allerdings: Eine die Tür öffnende Formulierung für anderweitig unsportliches Verhalten fehlt.

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Ehrlich oder dämllich? Foto: Vollmer



Das wird das Sportgericht des DFB aber wohl nicht davon abhalten, gegen Junuzovic eine erweiterte Sperre auszusprechen. Fritz dagegen könnte ungeschoren davonkommen, denn er hat geschwiegen, blieb also Philosoph. Ihm kann man die Absicht also schlicht nicht nachweisen. Junuzovic dagegen wird für seine entwaffnende Ehrlichkeit wohl bestraft werden. Und damit würde der DFB zeigen, dass für ihn der moralische Aspekt des Falls deutlich wichtiger ist als der rechtliche. Eine fatale Aussage: “Wenn ein Verhalten zwar nicht justitiabel ist, wir aber - warum auch immer - nicht begeistert sind, dann biegen wir uns die Regeln eben zurecht.” Das war 1991 bei Frank Ordenewitz nicht anders als 2016 bei Zlatko Junuzovic und Clemens Fritz. Auch Ordenewitz' Verhalten fand in den Regeln keine Erwähnung, trotzdem wurde er bestraft. Ein Vierteljahrhundert ist mittlerweile vergangen, ohne dass die Sportgerichtsbarkeit Fortschritte gemacht hat. Das ist die eigentliche Botschaft der Causa Junuzovic.

Till

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Dies ist eine Kolumne von Till Oliver Becker. Die Meinung des Autors entspricht nicht zwingend der Meinung unserer Redaktion.

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