Karate – Murmeln 23: Mesut Özil braucht die Karaoke nicht


Unregelmäßiger aber bissig: Karate - Murmeln, von Till Oliver Becker. Foto: privat
Unregelmäßiger aber bissig: Karate - Murmeln, von Till Oliver Becker. Foto: privat | Foto: privat



Bordeaux. Wetten dass? Wenn am Samstag in Bordeaux die Deutsche Nationalmannschaft ihr EM-Viertelfinale gegen Italien bestreitet, wird beim Abspielen der Nationalhymnen wieder landesweit diskutiert: Singt er? Singt er nicht?

Einigkeit und Recht und Freiheit:


Mesut Özil braucht die Karaoke nicht


"Er", das ist Mesut Özil. Der gebürtige Gelsenkirchener und jetzige Profi des FC Arsenal hält sich beim Synchronbewegen der Lippen zur Nationalhymne grundsätzlich zurück. Und erzürnt damit – besonders in den sozialen Medien, dem Stammtischersatz manches ansonsten Ungehörten – die Gemüter. Wer das Nationaltrikot trägt, heißt es oft, müsse auch die Hymne singen. Das klingt so, als sei es ein Naturgesetz. Mir hat sich dieser Singzwang nie erschlossen. Heißt es im Text nicht ausdrücklich "Einigkeit und Recht und Freiheit"? Und bedeutet Freiheit nicht, dass man nichts tun muss, was man nicht möchte? Das Recht also, nicht zu singen? Özil hat einmal gesagt, dass er nicht singt, weil ihn das Ritual so unmittelbar vor dem Spiel in seiner Konzentration störe. Diese Erklärung reicht aus, weil sie nachvollziehbar ist.

Die Diskussion ist eh fehl am Platz. Erst Franz Beckenbauer, damals Teamchef der Nationalmannschaft, hat das Mitsingen vor der Weltmeisterschaft 1990 zur Pflicht erklärt. Vorher, in der "guten alten Zeit" war es für die Spieler üblich, der Hymne ohne Karaokegesang zuzuhören. Gestört hat es niemanden. Die heutige Diskussion ist also eine aufgesetzte, eine künstliche. Wer Özil unbedingt kritisieren will, findet abseits der Sing"problematik" genügend Ansatzpunkte. Seine bisherigen Einsätze bei dieser EM waren - auch wenn die Kollegen von ARD und ZDF das Gegenteil behaupten - nicht sonderlich stark. Özil wirkt nach einer langen Saison in der Premier League lustlos und ideenarm. Dem Erfolg des Teams schadet er bisher allerdings nicht.

Und auch außerhalb des Platzes liefert Özil Kritikwürdiges ab. Die Mekkareise des Moslems Mesut Özil ist natürlich seine Privatsache. Problematisch aber ist es, dass Özil auf Bildern mit dem türkischen "Diktator-to-be" Recep Erdogan posiert und diese Bilder nirgends erklärt und kommentiert. Angesichts der vielfältigen Übergriffe auf Zivilisten in der Türkei, angesichts der Attacken auf Justiz und Presse, auf Minderheiten, angesichts des schrittweise Ausschaltens der Opposition ist die Wirkung dieser Bilder fatal. Solidarisiert sich hier ein deutscher Fußball-Nationalspieler mit einem der umstrittensten Protagonisten der Gegenwart? Özil bleibt die Antwort schuldig. Ob Özil bei der Nationalhymne mitsingt, ist unwichtig. Ob er PR für Erdogan macht, dagegen nicht.

Till

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Dies ist eine Kolumne von Till Oliver Becker. Die Meinung des Autors entspricht nicht zwingend der Meinung unserer Redaktion.


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