Kolumne Karate – Murmeln 9: Lasst die Schwäne sterben


Heute: Weiterspielen ist regelkonform. Foto: FrankVollmer
Heute: Weiterspielen ist regelkonform. Foto: FrankVollmer | Foto: FrankVollmer



Als Salim Khelifi am vergangenen Freitag in der 78. Minute das 2:0 für die Braunschweiger Eintracht im Ligaspiel in Sandhausen erzielte, war vielen sofort klar: Darüber wird diskutiert werden. Und tatsächlich sind einige Medien, besonders solche aus der Sandhäuser Umgebung, aber überaschenderweise auch der Kicker, auf diesen Zug aufgesprungen und haben sich positioniert. Tenor: Wenn ein Spieler am Boden liegt, muss der Ball gefälligst ins Aus gespielt werden! Richtig? Falsch! von Till Oliver Becker


Im konkreten Fall gab es keinerlei Grund, das Spiel zu unterbrechen. Braunschweigs Verteidiger Joseph Baffo hatte Stürmer Aziz Bouhaddouz nicht gefoult, der Sandhäuser hatte zwar den Bodycheck in üblicher Weise gesucht und gefunden - in der Hoffnung, der Schiedsrichter würde auf ein Foul des Verteidigers und Freistoß aus bester Position entscheiden. Das ging schief, vielleicht auch, weil Bouhaddouz manchmal doch etwas sehr schnell fiel. Schiri Benjamin Cortus ließ jedenfalls weiterspielen - und als der Ball Sekunden später am Mittelkreis bei Emil Berggreen ankam, blickte dieser zurück und sah, wie Bouhaddouz schon wieder aufstand. Dessen Mitspieler aber hatten es im Gegensatz zu den Gästen nicht mitbekommen und blieben stehen wie Statisten, als Berggreen Khelifi blitzsauber anspielte. Auch als der Schweizer zum 2:0 für die Eintracht einschob, blieb Sandhausens Gegenwehr überschaubar. Dafür protestierten die Schwarz-Weißen wie ganz Große. Vergebens, das Tor zählte. Und das völlig zurecht.

Fußball-Deutschland hat in diesem Moment vielleicht eine Art Lehrstunde erlebt. Ein Schiedsrichter fällt nicht auf das "clevere" Verhalten eines Stürmers herein, und der Gegner weigert sich, einen Ballgewinn herzuschenken, nur weil dieser Spieler den Rasen mit einer Liegewiese verwechselt. Weil dessen Mannschaft sich in einem Moment moralischer Verwirrung nicht mehr ums Fußballspielen kümmert, fällt das wohl entscheidende Tor. Es bleibt zu hoffen, dass diese Situation Schule macht. Denn die vielen, vielen sterbenden Schwäne im deutschen Profifußball nerven. Kleinste Berührungen reichen aus, damit Musterathleten zu Boden sinken und Schmerzen simulieren, dass man den Abdecker rufen möchte. Dieses Verhalten ist unfair, es ist schlicht Betrug. Es macht den Schiedsrichtern ihren Job unglaublich schwer. Denn die Unparteiischen müssen in Sekundenbruchteilen entscheiden: War das ein Foul? Muss ich den Foulspielenden vielleicht sogar verwarnen?  Allein die Praxis der Tatsachenentscheidung hat so manchen überführten Schauspieler vor einer Strafe bewahrt, obwohl sie für die oft spielentscheidenden Betrügereien angebracht wären.

Also lassen wir die Schwäne doch endlich sterben! Die Fußballer auf dem Platz wissen, wann ein Gegner verletzt ist und wann nicht. Sie können hervorragend selbst entscheiden, ob eine Verletzungspause notwendig ist. Aus einem falsch verstandenen Moralismus heraus, wie ihn Sandhausens Trainer Alois Schwarz ("Das hat sich so eingebürgert, dass wenn einer am Boden liegt der Ball ins Aus gespielt wird") an den Tag legte, sollten Spiele nicht ständig unterbrochen werden. Dem Spielfluss würde es gut tun, und nach einer kurzen Gewähnungsphase würden die Schwalben sicherlich schon bald nicht mehr so tief fliegen. It's football, stupid!


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